Fotos: Sammlung Golücke im Stadt- und Kreisarchiv Paderborn / Kurt Böse
Jenny Aloni erinnerte an ihre Kindheit in Paderborn
Nylands Kleine Westfälische Bibliothek 35
I. Eine Jugend in Deutschland (1917-1939)
Die Zeit der nationalsozialistischen Machtübernahme: Erinnerte Kindheit in Paderborn
Die Synagoge und der Dom
Ein gelber, achteckiger Backsteinbau, in dessen Wände hoch oben riesige runde Fenster aus buntem Glas eingelassen
waren, die sie immer an himmlische Feuerräder erinnerten, das war die Synagoge. Sie hätte nüchtern
gewirkt, wäre nicht die runde Kuppel gewesen, welche ihr ein exotisches Aussehen verlieh in dieser Stadt der
Türme und Kapellen, der Gotik und des Barocks. Schön an ihr war das Almemor mit dem Toraschrein, dessen
schwerer, goldgestickter Purpurvorhang an den hohen Feiertagen durch einen weißen, silbergeschmückten
ersetzt wurde und dessen Platz am Tischa be’aw ein schwarzer mit weißer Beschriftung einnahm. Und da
waren die Torarollen selbst, ihre mit kleinen Glocken gezierten Silberkronen, die bunt gemalten Windeln, die
man nach der Vorlesung um die Rollen wickelte, der seidene Bezug, das Silberschild und der silberne, »Hand«
genannte Zeiger.
»Da lifne mi ato aumed« (Wisse vor wem du stehst) stand in riesigen Lettern an der Ostwand geschrieben.
Das kleine Mädchen wußte die Bedeutung der Worte, und mit der ganzen Inbrunst ihres Herzens bemühte sie
sich, dem Befehl zu gehorchen. Immer, seit erster Zweifel an ihrem Gottesglauben genagt hatte, suchte sie ihn
durch gesteigerte Sorgfalt in der Befolgung der Gebote und durch Andacht des Gebetes zu verdrängen. Sie ging,
wenn sie nicht gerade dem Gesang der Gemeinde folgte, dem deutschen Text nach. Sie konnte Hebräisch lesen,
aber die Bedeutung der Worte verstand sie nicht. Noch entsinnt sie sich des Morgengebetes am Schabbat.
Noch entsinnt sie sich des Raumes um sie her mit den wohlbekannten Geräuschen und Bildern. Von unten
herauf ertönte der feierliche Singsang des Vorbeters, dem zuweilen das Gemurmel der Männer mit einem langgezogenen
»Omen« folgte. Oben auf der Galerie der Frauen fiel das Morgenlicht kaum gedämpft durch die hier
und dort mit buntem Glas besetzten Fensterscheiben auf die feiertäglich gekleideten Frauen.
Cornelia Schönwald Schauspielerin – Sprecherin
In Paderborn wurde der Brand um 24 Stunden verzögert.
Nr. 259 Neue Westfälische
Von Nazis bestellter Dachdecker zündete am Nachmittag des 10. November jüdische Synagoge an
Paderborn (IP/T). Nur um knapp 24 Stunden konnte die Ablehnung weiter Teile der Paderborner Bevölkerung den Brand der jüdischen Synagoge 1938 verhindern. Während in den meisten deutschen Städten bereits am 9. November in der „Reichskristallnacht“ die jüdischen Gemeindezentren in Flammen aufgingen, dauerte es in Paderborn bis zum Nachmittag des 10. November, ehe ein von den Nazis bestellter Dachdecker schließlich doch das Gotteshaus anzündete. Die Verzögerung der Gewalttat ist vermutlich auf die religiöse Haltung der Bevölkerung zurückzuführen. Ein Leben ohne Gotteshaus war für sie schwer vorstellbar.
Die Ereignisse am 9. und 10. November lassen sich rekonstruieren. Der SS-Hauptsturmführer Nagorny war der Regisseur der Verbrechen. Nagorny, aus Bielefeld stammend, machte eine typische NS-Karriere und stieg schnell zum Leiter des städtischen Fuhrparks auf. Als das Gerücht durchsickerte, daß am Abend des 9. November die Synagoge angezündet werden sollte, machte aber der damalige Kreisinspekteur der Feuerwehr, Böhle, klar, daß die Feuerwehr keine Garantien übernehmen könne. Er befürchtete ein Übergreifen der Flammen auf das benachbarte Vincenz-Krankenhaus und forderte eine Evakuierung der Patienten. Das hatten die SA- und SS-Leute nicht erwartet. Deshalb zogen sie wie die Vandalen durch die Stadt. Die Juden wurden mit vorgehaltener Pistole nachts aus dem Bett geholt und auf die Polizeiwache geschleppt. Nach den Daten des Paderborner Stadtarchivs wurden viele Männer gleich anschließend in Konzentrationslager abtransportiert. Selbst zugunsten der jüdischen Mitbürger eingreifende Polizeibeamte wurden von der Nagorny-Gefolgschaft mit der Waffe bedroht.
Am Abend dieses denkwürdigen Tages sprach der damalige Paderborner Erzbischof Dr. Klein schriftlich sein Beileid zum Verlust des Gotteshauses gegenüber der Synagogengemeinde aus. Und auch der damalige NS-Landrat musste zwei Wochen später in seinem Bericht bekennen: „Der überwiegende Teil der Bevölkerung, der noch unter dem Einfluss zentrümlicher und kirchlicher Kreise steht, lehnt die Aktionen gegen die Juden ab.” Allerdings gab es später außer kleinen Gesten beim Abtransport der Kinder aus dem jüdischen Waisenhaus keine aktiven Hilfeleistungen.