Abendrealschule Paderborn – Ausstellung 2007

Ausstellung „Jedem Namen der 109 ermordeten Pa­der­borner Juden ein Gesicht geben“

der AG Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage an der Abendrealschule der Stadt Paderborn

„Den 109 Namen ein Gesicht geben”, der Titel  der Ausstellung in der Abendrealschule Paderborn, fußt auf Neugierde. Stu­dierende der Abend­realschule hatten mehrfach zur Erinnerung an die Pog­rom­nacht am 9. November die Namen der er­mordeten Paderborner Juden bei der Feier­stunde am Mahnmal an der alten Synagoge vorgetragen. Jetzt wollten sie mehr wissen.

Im Herbst letzten Jahres begann die Suche nach den Menschen und de­ren  Geschichte hinter den Namen.

Als „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ fühlen sich einige besonders Engagierte immer aufs Neue verpflichtet, den Anspruch zu  untermauern.  Denn: Die jüdischen Opfer Pader­borns sind nicht namen­los. Es gibt ein Mahnmal mit 111 Na­men; die Arbeitsgruppe stellte fest, dass zwei Personen überlebten und  fünf weitere nicht länger als drei Jahre in Pader­born gelebt hatten. So kommt es, dass nunmehr 104 Na­men und Geschichten präsen­tiert werden.

Die Schlüsselfrage lautete: Um welche Familien und welche Ein­zelper­sonen geht es, welche  wurden komplett oder teilweise aus­gelöscht? In Paderborn waren es 44 Männer, 60 Frauen, darun­ter 8 Kinder unter 16, die jüngste sieben, die älteste 82 Jahre alt. Dazu kommen die jun­gen Männer und Frauen des Arbeitsla­gers am Grünen Weg, von denen nur 17 überlebten, und 23 Jun­gen und Mäd­chen des jüdischen Waisenhau­ses.

Bei näherer Betrachtung sind die 104 Opfer  41 Ehefrauen, 31 Mütter, 25 Ehemänner, 24 Söhne, 21 Töchter, 20 Brüder, 19 Väter, Schwa­ger / Schwägerinnen, Schwiegerkinder, Schwie­ger­eltern, Omas und Opas, En­kel, Nichten und Neffen, Cou­sins und Cousinen. „Alle diese Personen haben Lücken in den Fa­milien hinterlassen, deren Rollen innerhalb der Familien durch das Herausreißen aus dem Familien­ver­band nicht ausgelebt werden konnten“, sagt Petra Krieger-Brockmann, Moderatorin der Arbeitsgemeinschaft Schule ohne Rassismus. Schnell wurde klar, dass die Verfolgung und Deportation Karrieren verbaute,  Ehen verhinderte und   Kinder  ohne Vater oder Mutter und Geschwister aufwachsen mussten. Auch die Was-wäre-wenn-Fragen wurden konse­quent weiterverfolgt: Was wäre aus ihnen geworden, wenn sie nicht aus dem Mittelpunkt ihrer Familien gerissen worden wä­ren? Wie wichtig wäre es, wenn ihr Leben und ihre Erfahrungen in die Zu­kunft hineinwir­ken hät­ten können und kommenden Genera­tionen präsent wären?

Ein Beispiel: Jenny Aloni, geborene Rosenbaum, Schriftstellerin und Kulturpreisträgerin der Stadt, verlor ihre Schwester Irma, ihre Mutter Henny und Vater Moritz im Holocaust. Sie hinterlegte für ihre Eltern und ihre Schwester ein Gedenkblatt in Yad Vashem.

Noch ein Ergebnis: Die Paderborner Opfer waren Kaufleute, Ver­treter, Verkäufer, Viehhändler, Metz­ger, Hausange­stellte, Erzieher und Lehrer, ein Rechtsanwalt. Sie haben Lücken im Stadtbild hinterlassen. Gab es danach noch  andere Metzger, die koscheres Fleisch von geschächtetem Schaf, Rind, Ziege oder Hirsch an­boten? Wer hat die jüdischen Mitbür­ger de facto und juris­tisch vertreten?

Man weiß: Die Mehrheit der Opfer ist im Vernichtungslager Auschwitz (31 von 104) umgekommen; 26 in Riga, 14 in There­sienstadt, 12 in War­schau, 6 im Raum Minsk, 4 in Sobibor, 3 in Al Maly Trosti­nec, 2 in Majdanek, 2 in Lodz; bei 4 Opfern sind die To­desumstände und der Todes­ort vollkommen ungeklärt.

Ziel ist es, anhand von Einzelschicksalen nachzuvollziehen, was stell­ver­tretend für sechs Millionen Opfer, darunter 1,5 Millionen Kinder, galt. Krieger-Brockmann: „Wir laden  ein, teilzu­haben an den Le­bensstatio­nen dieser Männer, Frauen und Kinder, damit sie nicht verges­sen wer­den und ihr (nicht gelebtes) verpasstes Leben in das öffentliche Be­wusstsein gelangt.“ Die Ausstellung soll die Geschichte (durch Ge­schichten) hinter den Namen deut­lich machen. Dabei sind die  104 Na­men nur ein minimaler Aus­schnitt aus der Gruppe der  sechs Millionen, die durch den natio­nalsozialistischen Ter­ror in ganz Eu­ropa ermordet wurde.

Bewusst wurde die Eröffnung der Ausstellung auf den 8. Mai 2007 ter­miniert – 62 Jahre nach Kriegsende und dem Ende natio­nalsozialisti­scher Gewaltherrschaft.

Den Beteiligten war klar, dass die Zeit eilt. Die zuneh­mende histo­rische  Entfernung von damaligen Geschehen birgt Gefah­ren für die öffentliche Erinnerungskultur. Zeit­zeugen und überle­bende Verwandte werden stetig weniger. Der Zeitpunkt, an dem niemand mehr aus eigenem Erle­ben oder aus der Wiedergabe von Entrech­tung und Ver­nichtung, Ermor­dung und Auslöschung berichten kann, rückt unaufhaltsam näher.

Das Wissen darüber, wo die Synagoge in Paderborn war bzw. heute ist, das Wissen um das Schick­sal von Juden während der Zeit des National­sozialismus am Heimatort soll mit dazu beitra­gen, dass Vorurteile nicht entstehen bzw. abgebaut werden. Der Geschichtskurs des 2. Vormittags­semesters von Vanessa Kißing, stellt die Ergeb­nisse eines Stadtrund­gangs „Auf jüdischen Spu­ren in Paderborn“ mit Fotos dar. Darüber hinaus werden Informatio­nen über die jüdische Gemeinde in Paderborn anhand eines Proto­kolls nach einem Synagogenbesuch bereitgestellt. Eine weitere Tafel informiert über die jüdischen Feiertage.

Dieses Projekt soll auch dazu beitragen, dass An­tisemitismus und Rechtsextremismus keine Chance haben, und die Glaubensunter­schiede und die Gemeinsamkeiten zwischen Juden, Christen und Moslems er­kannt und toleriert werden.

Gefördert wurde das Projekt von der Jugendkampagne des Euro­parates „alle an­ders – alle gleich“. Die notwendigen Stellwände für die Aus­stellung konnten dank eines Preisgeldes von 1.000 € finanziert werden.

Moderatorin Krieger-Brockmann dankte bei der Ausstellungser­öffnung ihren Mitstreiten, vor allen Dingen den Studierenden. Die Projektarbeit habe vorrangig in der Freizeit, neben dem regulären Unterricht, stattge­funden. Krieger-Brockmann: „Ich bin stolz darauf, dass gerade Stu­dierende des zweiten Bildungsweges mit diesem Projekt geschicht­liches, soziales und auch ziviles Engage­ment zeigen, das einen Kontrapunkt gegen Anti­semitismus und Rechtsradikalismus setzt.“

Grundlage der Arbeit war das Buch von Dr. Margit Naarmann „Von ih­ren Leuten wohnt hier keiner mehr – Jüdische Familien in Paderborn in der Zeit des Nationalsozi­alis­mus“. Dem umfassen­den Schlüsselwerk für die Geschichte der Paderborner Juden unter dem Nationalsozialismus sind in Kurzform per­sön­liche Daten und Fotos zu den 104 Namen entnommen. Krieger-Brockmann:„Ohne diese umfassende Recherche­möglichkeit wäre diese Ausstellung nicht machbar gewesen.“ Über die seit dem 22. November 2004 beste­hende Database von Yad Vashem www.yadvashem.org wurden weitere Informationen recherchiert, aktua­li­siert oder auch ergänzt.

Die folgenden von Yad Vashem erarbeiteten Grundsätze für das Unter­richten des Holocaust prägen auch die Herangehensweise an das Pader­borner Projekt:

  1. Der Holocaust setzt sich aus individuellen, persönlichen Le­bensge­schichten zusam­men, die auf historischen Fakten ba­sieren und durch historische Doku­mente, Zeu­genaussa­gen und Erinne­rungen belegt werden.
  2. Der Schwerpunkt liegt auf dem persönlichen Schicksal des Men­schen.
  3. Der Holocaust wird aus jüdischer – also der Opferperspek­tive er­zählt.
  4. In adäquatem Rahmen wird auf Täter, Mitläufer, Zuschauer und Retter einge­gangen.
  5. Menschliche Dilemmas werden herausgestellt, in der Form, dass die Wahl zwi­schen Alternativen für das Op­fer meist eine „choi­celess choice“ war.
  6. Jüdisches Leben wird nicht auf die Phase zwischen 1933 bis 1945 beschränkt.
  7. Der Holocaust muss altersgerecht, gemäß eines spiralförmig ange­legten Kon­zepts, ver­mittelt wer­den.
  8. Der Holocaust wird fächerübergreifend unterrichtet.[1]

Die Ausstellung war montags bis donnerstags von 8.00 bis 20.00 Uhr und freitags bis 14.00 Uhr bis zum 10.06.07 zu sehen im Fo­yer des Weiter­bildungskollegs, Fürstenweg 17 b. Der Eintritt war frei. Kontakt Tel. 05251 – 1329118.

[1] ausführliche Informationen dazu unter:  Education