Ausstellung „Jedem Namen der 109 ermordeten Paderborner Juden ein Gesicht geben“
der AG Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage an der Abendrealschule der Stadt Paderborn
„Den 109 Namen ein Gesicht geben”, der Titel der Ausstellung in der Abendrealschule Paderborn, fußt auf Neugierde. Studierende der Abendrealschule hatten mehrfach zur Erinnerung an die Pogromnacht am 9. November die Namen der ermordeten Paderborner Juden bei der Feierstunde am Mahnmal an der alten Synagoge vorgetragen. Jetzt wollten sie mehr wissen.
Im Herbst letzten Jahres begann die Suche nach den Menschen und deren Geschichte hinter den Namen.
Als „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ fühlen sich einige besonders Engagierte immer aufs Neue verpflichtet, den Anspruch zu untermauern. Denn: Die jüdischen Opfer Paderborns sind nicht namenlos. Es gibt ein Mahnmal mit 111 Namen; die Arbeitsgruppe stellte fest, dass zwei Personen überlebten und fünf weitere nicht länger als drei Jahre in Paderborn gelebt hatten. So kommt es, dass nunmehr 104 Namen und Geschichten präsentiert werden.
Die Schlüsselfrage lautete: Um welche Familien und welche Einzelpersonen geht es, welche wurden komplett oder teilweise ausgelöscht? In Paderborn waren es 44 Männer, 60 Frauen, darunter 8 Kinder unter 16, die jüngste sieben, die älteste 82 Jahre alt. Dazu kommen die jungen Männer und Frauen des Arbeitslagers am Grünen Weg, von denen nur 17 überlebten, und 23 Jungen und Mädchen des jüdischen Waisenhauses.
Bei näherer Betrachtung sind die 104 Opfer 41 Ehefrauen, 31 Mütter, 25 Ehemänner, 24 Söhne, 21 Töchter, 20 Brüder, 19 Väter, Schwager / Schwägerinnen, Schwiegerkinder, Schwiegereltern, Omas und Opas, Enkel, Nichten und Neffen, Cousins und Cousinen. „Alle diese Personen haben Lücken in den Familien hinterlassen, deren Rollen innerhalb der Familien durch das Herausreißen aus dem Familienverband nicht ausgelebt werden konnten“, sagt Petra Krieger-Brockmann, Moderatorin der Arbeitsgemeinschaft Schule ohne Rassismus. Schnell wurde klar, dass die Verfolgung und Deportation Karrieren verbaute, Ehen verhinderte und Kinder ohne Vater oder Mutter und Geschwister aufwachsen mussten. Auch die Was-wäre-wenn-Fragen wurden konsequent weiterverfolgt: Was wäre aus ihnen geworden, wenn sie nicht aus dem Mittelpunkt ihrer Familien gerissen worden wären? Wie wichtig wäre es, wenn ihr Leben und ihre Erfahrungen in die Zukunft hineinwirken hätten können und kommenden Generationen präsent wären?
Ein Beispiel: Jenny Aloni, geborene Rosenbaum, Schriftstellerin und Kulturpreisträgerin der Stadt, verlor ihre Schwester Irma, ihre Mutter Henny und Vater Moritz im Holocaust. Sie hinterlegte für ihre Eltern und ihre Schwester ein Gedenkblatt in Yad Vashem.
Noch ein Ergebnis: Die Paderborner Opfer waren Kaufleute, Vertreter, Verkäufer, Viehhändler, Metzger, Hausangestellte, Erzieher und Lehrer, ein Rechtsanwalt. Sie haben Lücken im Stadtbild hinterlassen. Gab es danach noch andere Metzger, die koscheres Fleisch von geschächtetem Schaf, Rind, Ziege oder Hirsch anboten? Wer hat die jüdischen Mitbürger de facto und juristisch vertreten?
Man weiß: Die Mehrheit der Opfer ist im Vernichtungslager Auschwitz (31 von 104) umgekommen; 26 in Riga, 14 in Theresienstadt, 12 in Warschau, 6 im Raum Minsk, 4 in Sobibor, 3 in Al Maly Trostinec, 2 in Majdanek, 2 in Lodz; bei 4 Opfern sind die Todesumstände und der Todesort vollkommen ungeklärt.
Ziel ist es, anhand von Einzelschicksalen nachzuvollziehen, was stellvertretend für sechs Millionen Opfer, darunter 1,5 Millionen Kinder, galt. Krieger-Brockmann: „Wir laden ein, teilzuhaben an den Lebensstationen dieser Männer, Frauen und Kinder, damit sie nicht vergessen werden und ihr (nicht gelebtes) verpasstes Leben in das öffentliche Bewusstsein gelangt.“ Die Ausstellung soll die Geschichte (durch Geschichten) hinter den Namen deutlich machen. Dabei sind die 104 Namen nur ein minimaler Ausschnitt aus der Gruppe der sechs Millionen, die durch den nationalsozialistischen Terror in ganz Europa ermordet wurde.
Bewusst wurde die Eröffnung der Ausstellung auf den 8. Mai 2007 terminiert – 62 Jahre nach Kriegsende und dem Ende nationalsozialistischer Gewaltherrschaft.
Den Beteiligten war klar, dass die Zeit eilt. Die zunehmende historische Entfernung von damaligen Geschehen birgt Gefahren für die öffentliche Erinnerungskultur. Zeitzeugen und überlebende Verwandte werden stetig weniger. Der Zeitpunkt, an dem niemand mehr aus eigenem Erleben oder aus der Wiedergabe von Entrechtung und Vernichtung, Ermordung und Auslöschung berichten kann, rückt unaufhaltsam näher.
Das Wissen darüber, wo die Synagoge in Paderborn war bzw. heute ist, das Wissen um das Schicksal von Juden während der Zeit des Nationalsozialismus am Heimatort soll mit dazu beitragen, dass Vorurteile nicht entstehen bzw. abgebaut werden. Der Geschichtskurs des 2. Vormittagssemesters von Vanessa Kißing, stellt die Ergebnisse eines Stadtrundgangs „Auf jüdischen Spuren in Paderborn“ mit Fotos dar. Darüber hinaus werden Informationen über die jüdische Gemeinde in Paderborn anhand eines Protokolls nach einem Synagogenbesuch bereitgestellt. Eine weitere Tafel informiert über die jüdischen Feiertage.
Dieses Projekt soll auch dazu beitragen, dass Antisemitismus und Rechtsextremismus keine Chance haben, und die Glaubensunterschiede und die Gemeinsamkeiten zwischen Juden, Christen und Moslems erkannt und toleriert werden.
Gefördert wurde das Projekt von der Jugendkampagne des Europarates „alle anders – alle gleich“. Die notwendigen Stellwände für die Ausstellung konnten dank eines Preisgeldes von 1.000 € finanziert werden.
Moderatorin Krieger-Brockmann dankte bei der Ausstellungseröffnung ihren Mitstreiten, vor allen Dingen den Studierenden. Die Projektarbeit habe vorrangig in der Freizeit, neben dem regulären Unterricht, stattgefunden. Krieger-Brockmann: „Ich bin stolz darauf, dass gerade Studierende des zweiten Bildungsweges mit diesem Projekt geschichtliches, soziales und auch ziviles Engagement zeigen, das einen Kontrapunkt gegen Antisemitismus und Rechtsradikalismus setzt.“
Grundlage der Arbeit war das Buch von Dr. Margit Naarmann „Von ihren Leuten wohnt hier keiner mehr – Jüdische Familien in Paderborn in der Zeit des Nationalsozialismus“. Dem umfassenden Schlüsselwerk für die Geschichte der Paderborner Juden unter dem Nationalsozialismus sind in Kurzform persönliche Daten und Fotos zu den 104 Namen entnommen. Krieger-Brockmann:„Ohne diese umfassende Recherchemöglichkeit wäre diese Ausstellung nicht machbar gewesen.“ Über die seit dem 22. November 2004 bestehende Database von Yad Vashem www.yadvashem.org wurden weitere Informationen recherchiert, aktualisiert oder auch ergänzt.
Die folgenden von Yad Vashem erarbeiteten Grundsätze für das Unterrichten des Holocaust prägen auch die Herangehensweise an das Paderborner Projekt:
- Der Holocaust setzt sich aus individuellen, persönlichen Lebensgeschichten zusammen, die auf historischen Fakten basieren und durch historische Dokumente, Zeugenaussagen und Erinnerungen belegt werden.
- Der Schwerpunkt liegt auf dem persönlichen Schicksal des Menschen.
- Der Holocaust wird aus jüdischer – also der Opferperspektive erzählt.
- In adäquatem Rahmen wird auf Täter, Mitläufer, Zuschauer und Retter eingegangen.
- Menschliche Dilemmas werden herausgestellt, in der Form, dass die Wahl zwischen Alternativen für das Opfer meist eine „choiceless choice“ war.
- Jüdisches Leben wird nicht auf die Phase zwischen 1933 bis 1945 beschränkt.
- Der Holocaust muss altersgerecht, gemäß eines spiralförmig angelegten Konzepts, vermittelt werden.
- Der Holocaust wird fächerübergreifend unterrichtet.[1]
Die Ausstellung war montags bis donnerstags von 8.00 bis 20.00 Uhr und freitags bis 14.00 Uhr bis zum 10.06.07 zu sehen im Foyer des Weiterbildungskollegs, Fürstenweg 17 b. Der Eintritt war frei. Kontakt Tel. 05251 – 1329118.